Die Impffrage polarisiert. Die einen wollen, die anderen wollen nicht. In Diskussionen bilden sich oft zwei Lager, wo die eine Seite versucht, die andere von ihrer Ansicht zu überzeugen. Während die Impfbefürworter der Wissenschaft vertrauen, herrschen bei den Gegnern Skepsis und Misstrauen vor. Doch woher stammen diese Gefühle?
Mangelndes Vertrauen und Sorgen wegen Nebenwirkungen
Urte Scholz ist Professorin an der Universität Zürich im Psychologischen Institut. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen unter anderem soziale Austauschprozesse bei Gesundheitsveränderungen und Gesundheitsverhaltensänderungen auf interpersonaler Ebene. Die Gesundheitspsychologin findet, dass Angst nicht unbedingt das vorherrschende Gefühl rund um die Impfskepsis sei: «Viele Menschen scheinen den neuen mRNA-Impfstoffen aber nicht genügend zu vertrauen und machen sich deshalb Sorgen wegen möglicher Nebenwirkungen.»
Dass diese Sorgen in der Schweiz noch weit verbreitet sind, zeigt sich auch am aktuellen Impffortschritt. 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung sind noch komplett ungeimpft und dies, obwohl die Impfung seit dem Frühling für die breite Masse gratis zugänglich ist.
Ausbau des Informationsangebots
Es sei wichtig, den Sorgen der Impfskeptiker mit verständlicher, verlässlicher und leicht zugänglicher Information über die Impfstoffe entgegenzuwirken, sagt Urte Scholz. «Viele Informationen findet man nur, wenn man aktiv danach sucht. Das machen aber natürlich nicht alle Menschen. Sicherlich wären hier noch mehr Angebote denkbar, die niedrigschwellig und einladend sind.»
Diese Massnahme sei ausserdem wichtig, weil viele Falschinformationen im Umlauf seien. «Diese erreichen die Menschen auch, wenn sie gar nicht aktiv danach suchen.» Eine falsche Aussage zu Nebenwirkungen der Impfung im Bekanntenkreis würde manchmal schon ausreichen, um komische Gefühle auszulösen und die Impfbereitschaft zu senken.
«Wirkliche Impfgegner sind nur eine kleine Gruppe»
Doch wie lassen sich Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, erreichen? «Man muss erst einmal genau wissen, wer diese Menschen sind. Wichtig ist, nicht alle über einen Kamm zu scheren und als Impfgegner abzustempeln. Die wirklichen Impfgegner sind nur eine relativ kleine Gruppe», sagt die Gesundheitspsychologin. So seien die Gründe, sich nicht impfen zu lassen, bei den Unentschiedenen vielfältig. Dazu zählen neben dem Misstrauen in die Impfung, dass sie zu wenig persönlichen Nutzen sehen oder dass es zu viele Barrieren gibt. «Es gibt Menschen, die sich nicht während der Arbeitszeit impfen lassen können oder die es zu kompliziert oder aufwendig finden, sich für die Impfung anzumelden.» Für jene seien Impfbusse oder Walk-in-Angebote hilfreich.
Weiter könne es helfen, wenn man beispielsweise Autoritäts- oder Führungspersonen aus bestimmten Gruppen dafür gewinnen könnte, sich für die Impfung auszusprechen, sodass die Mitglieder dieser Gruppen auch vom Nutzen der Impfung überzeugt werden könnten. «Und zusätzlich wäre es auch wichtig, die Menschen darin zu stärken, Falschinformationen und Verschwörungstheorien als solche zu erkennen und zu wissen, wie man damit umgeht. Dazu gehört zum Beispiel, dass man die Quelle der Information kritisch hinterfragt und die Information nicht teilt, wenn man nicht sicher ist, ob sie stimmt», sagt Urte Scholz
Impfen oder nicht impfen?
Langsam aber sicher steigt auch in der Schweiz die Impfkadenz wieder. Zurückzuführen ist diese aber wohl eher auf die seit Montag geltende Zertifikatspflicht. Ob die anhaltende Skepsis durch eine höhere Impfquote versiegen wird, ist offen. Die Diskussionen werden auf jeden Fall anhalten.
(dab/lae/agm)