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Gibt es den «echten» Aargauer Dialekt? Ein Sprachexperte klärt auf

Die Welt der Dialekte

Spricht dein Bezirk den «echten» Aargauer Dialekt?

· Online seit 26.06.2023, 05:22 Uhr
Eines ist klar: Im Aargau wird nicht überall gleich gesprochen. Laut Sprachwissenschaft hat das verschiedene Gründe. Ob es ihn aber nun gibt, den «echten» Aargauer Dialekt und was Napoleon damit zu tun hat, erfährst du im Artikel.
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«Flöig», «Flöige», «Flüge» oder doch «Fliege»? Im Aargau sind wir uns nicht immer einig, wie wir jetzt was sagen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Freiämter nicht gleich wie eine Fricktalerin spricht. Doch woher kommt das? Das hat einen historischen Hintergrund, erklärt Sprachexperte Dieter Studer-Joho, Co-Projektleiter von www.hunziker2020.ch, gegenüber ArgoviaToday.

Die Vergangenheit des Aargaus

Der Aargau wurde erst im Jahr 1803 aus vier Gebieten durch Napoleons Einfluss geformt, erklärt Studer-Joho. Die Gebiete hatten alle unterschiedliche politische, religiöse und kulturelle Werdegänge. Sie waren sogenannte Untertanengebiete und wurden von verschiedenen Herrschaften oder Machthabern geführt.

Später gab es noch leichte Verschiebungen bei den Zuständigkeiten der Orte, «aber das grundlegende Muster war während rund vier Jahrhunderten stabil», so Studer-Joho. Man könnte folglich sagen: Der Aargau wurde aus vier verschiedenen Puzzle-Teilen gebildet, wobei die Teile zwar irgendwie ineinanderpassten, aber kein einheitliches Bild ergeben haben. Das zeigt sich heute vor allem eben in der Sprache.

Die Dialekt-Landschaft im Aargau

Im Gegensatz zu den als eigentliche «Stadtstaaten» entstandenen Kantonen Zürich, Bern und Luzern, hatte der Aargau in seiner Geschichte nie eine politisch-kulturell starke Hauptstadt. «Die verschiedenen Regionen des Aargaus haben stattdessen verschiedene mundartliche Entwicklungen in unterschiedlichem Grade mitgemacht», so der Experte. Alle vier Gebiete des Aargaus waren unterschiedlich beeinflusst und standen mit unterschiedlichen grossen Zentren in Kontakt. Durch die geschichtliche Vergangenheit lässt sich der Kanton Aargau noch heute in vier Mundartgebiete einteilen. Zudem spielte natürlich auch die geografische Lage und die verkehrstechnischen Möglichkeiten der Gebiete eine grosse Rolle.

So war der Berner Aargau nach Westen orientiert, das Freiamt gegen die Zentralschweiz hin, die Grafschaft Baden Richtung Zürich und das Fricktal Richtung Basel. Genau das zeigt sich eben heute sprachgeografisch. Schliesslich hört man in Baden bereits sehr stark das aus Zürich bekannte «nöd» und bei den Thutstättern und Thutstätterinnen in Zofingen kommt öfter das vor allem in Bern populäre «äuä» über die Lippen. Studer-Joho sagt dazu, dass die Details und der Verlauf der sogenannten «Isoglossen», also die Grenzen von individuellen sprachlichen Merkmalen, sehr komplex durch die Landschaft verlaufen. Aber insgesamt lassen sich die vier Regionen doch recht stabil voneinander unterscheiden.

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Gibt es eine reine Form des «Aargauer-Dütsch»?

Die Sprache im Aargau wird also seit jeher durch andere beeinflusst und geprägt. Aber würde das nicht bedeuten, dass der Ort, welcher am weitesten von sämtlichen angrenzenden Kantonen entfernt ist, am geringsten beeinflusst ist und somit die «reinste» Form des Aargauer Dialekts spricht? Somit wäre die Kantonsmitte, also der Bezirk Lenzburg, die pure Form des «Aargauer Dütsch». Der Experte sagt zu dieser These: «Je nach den Kriterien, die aufgestellt werden, findet sich vielleicht sogar gute Evidenz dafür, dass der Lenzburger Dialekt besonders ‹aargauisch› ist. Es ist aber sehr leicht, wiederum andere Kriterien zu finden, die zeigen, dass es halt doch nur den Bezirk gut abdeckt und er in zahlreichen Belangen nicht als repräsentativ für den Kanton gelten kann».

Ist der Aargau ein «dialektloser» Kanton?

Folglich gibt es «den» Aargauer Dialekt gemäss Experten nicht. Das macht den Aargau aber nicht zu einem dialektlosen Kanton, sondern eher zu einem sprachlichen Flickenteppich, der mit Vielfältigkeit glänzen kann. In der alltäglichen Wahrnehmung der Schweizer Mundarten denken wir oft in Kantonsmundarten, aber gerade in dieser Logik ist der Aargau nicht so leicht zu fassen, sagt Studer-Joho dazu. Sicher sei, dass die Mundarten des Aargaus schon immer in einem ständigen Wandelprozess gestanden haben. «Wenn wir geschichtlich genügend weit wegzoomen, wird schnell klar, dass diese grossen sprachlichen Veränderungen vor nichts Halt machen. Wenn wir in 500 Jahren zurückkommen könnten, würden wir uns wahrscheinlich die Augen (und die Ohren) reiben», sagt Dieter Studer-Joho, scherzend.


veröffentlicht: 26. Juni 2023 05:22
aktualisiert: 26. Juni 2023 05:22
Quelle: ArgoviaToday

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