Wie Weitspringer Simon Ehammer am Tag zuvor erscheint auch Angelica Moser mit wässrigen Augen in der Mixed Zone. Die 26-jährige Zürcherin zeigte mit übersprungenen 4,80 m ebenfalls einen guten Wettkampf, schaffte gar die beste Klassierung einer Schweizer Leichtathletin an Olympischen Spielen. Jedoch war das für Moser nur ein schwacher Trost. «Wenn mir einer vor eineinhalb Jahren gesagt hatte, dass ich hier Vierte werde, hätte ich das nicht geglaubt.» Wenn dann aber so wenig zu einer Medaille fehle, dann sei man dennoch enttäuscht. Und das werde eine Weile noch so sein.
Vorwerfen konnte sich Moser nichts, sie sprang erst einmal höher, Mitte Juli beim Meeting der Diamond League in Monaco, wo sie mit 4,88 m einen Schweizer Rekord aufstellte. Zudem waren auch die drei Fehlversuche – zwei auf 4,85 m und einer auf 4,90 – «gute Sprünge. Um Höhen zu schaffen, in denen die Luft dünn wird, muss alles auf den Millimeter genau zusammenpassen. Letztendlich hatten drei etwas mehr Glück», erklärte Moser.
Auch wenn ihr das aktuell nichts nutzt, kann sie stolz auf ihre Entwicklung sein. Im Juni gewann sie in Rom den EM-Titel, im Mai hatte sie in Marrakesch erstmals im Rahmen der Diamond League triumphiert. «Das kann mir niemand mehr nehmen, es ist bisher eine unglaubliche Saison, einzig das i-Tüpfelchen fehlt», sagte Moser.
Viel Mut bewiesen
Ihre Fortschritte kommen nicht von ungefähr, schwierige Zeiten machten sie stärker. Im Jahr 2020 bewies Moser viel Mut, als sie von ihren Essstörungen erzählte. Sie war gemäss eigener Aussage abhängig von Zucker, sprach von Fressorgien. Das Thema Gewicht war bei ihr omnipräsent. Sie nahm Hilfe in Anspruch und überwand die Essstörungen.
Allerdings war das Gewicht insofern weiterhin ein Thema, als im Stabhochsprung das Kraft-Last-Verhältnis einen direkten Einfluss auf die Leistung hat. «Wir redeten offen und ehrlich über diese Thematik, fanden eine gute Gesprächsbasis», sagte Trainer Adrian Rothenbühler im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Es sei darum gegangen, was es bewirken würde, wenn so und so viele Kilos weg wären. Rothenbühler betonte aber: «Es war nie ein dominanter Faktor.»
So fit wie nie
Dass Moser die angesprochenen möglichen Schritte umsetzte, ist zu sehen. Sie ist so fit wie noch nie, was auch mit dem Athletiktraining zu tun hat. Rothenbühler, seit dem Frühjahr 2023 der gesamtverantwortliche Coach der Zürcherin, ist ein absoluter Fachmann auf diesem Gebiet – auch, was das Krafttraining von Frauen betrifft.
Rothenbühler weiss zudem bestens, wie jemand schneller gemacht werden kann, unter anderen trainierte er früher Mujinga Kambundji. Sein Ansatz bei Moser war, von hinten anzufangen, also beim Anlauf und beim Übergang, auch da machte sie in diesem Jahr wie im Kraftbereich Fortschritte. «Wenn du schon schlecht anläufst, musst du nicht etwas am Sprung korrigieren. Wir nahmen kleine Anpassungen vor», sagte Rothenbühler.
Bereits wieder kämpferisch
Aufgrund der markanten Steigerung bei der Schnelligkeit kommt Moser «nun mit einer anderen Energie daher, das hilft», so Rothenbühler. Beim Element Stabhochsprung ist er in einem intensiven Austausch mit dem sehr erfahrenen deutschen Experten Herbert Czingon, einem ehemaligen Trainer von Moser. «So ist es ein gutes Konstrukt», sagte Rothenbühler. Czingon drängte darauf, dass bei Moser die Griffbreite etwas enger wird, «damit der linke Arm beim Einstich über Kopf kommt. Das gelingt ihr nun und dadurch kann sie besser und schneller einrollen», erklärte Rothenbühler.
All das und dass Moser konstant durchtrainieren konnte, trug dazu bei, dass sie in dieser Saison auf einem höheren Niveau springt. Vor diesem Jahr hatte ihre Bestleistung 4,75 m betragen. Nun will sie sich auf dem höheren Level stabilisieren. «Der Weg stimmt», sagte Moser und ergänzte: «Das Ziel ist sicher, es an den nächsten Olympischen Spielen (2028 in Los Angeles) aufs Podest zu schaffen.»
(sda)