Weshalb man an einem der härtesten Velorennen Europas auch mal Hunde anschreien muss
· Online seit 26.08.2024, 16:27 Uhr
Über 4000 Kilometer durch 15 Länder – im Rahmen des Transcontinental Race durchquerten zwei Aargauer Europa mit dem Velo. Einer von ihnen hatte Titelambitionen, für den anderen ging es in erster Linie um die Erfahrung. Mit watson sprachen sie über ihre Erlebnisse unterwegs.
Katja Burgherr / watson
Bildquelle: collage/watson.ch
Im dritten Versuch siegte Robin beim TCR diesen Sommer zum ersten Mal.
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Im Schatten der Radevents an den Olympischen Spielen und der Tour de France erlebten in diesem Sommer auch die Ultra-Cycler einen Höhepunkt. Am Transcontinental Race legten 300 Fahrerinnen und Fahrer die über 4000 Kilometer von Roubaix in Frankreich bis nach Istanbul zurück und passierten dabei 15 verschiedene Länder. Zwei der Schweizer Fahrer, die den Weg quer durch Europa unter die Räder genommen haben, sind die beiden Aargauer Robin und Adrian. Obschon sich die beiden derselben Aufgabe stellten – ihre Erlebnisse auf der Reise sind so individuell wie die Beweggründe, warum sie überhaupt an den Start gingen.
Für Robin war es bereits die dritte Teilnahme am Rennen quer durch Europa. Schon bei seinem ersten Auftritt waren viele der sogenannten Dotwatcher – also die Fans, die anhand von GPS-Signalen die Live-Standorte der Fahrer verfolgen – überrascht, den in der Szene noch relativ unbekannten Aargauer so weit vorne zu sehen. Im darauffolgenden Jahr schaffte es Robin auf den zweiten Platz und mauserte sich zur festen Grösse in der Ultra-Cycling-Szene. Entsprechend hoch waren seine Erwartungen vor der diesjährigen Ausgabe:
Und Robin konnte die hohen Erwartungen, die er an sich selbst gestellt hatte, erfüllen. 8 Tage und 23 Stunden nach dem Start in Roubaix erreichte er Istanbul rund 4,5 Stunden vor seinem ersten Verfolger, dem Österreicher Christoph Strasser. Robins grosse Ambitionen dürften auch seiner Vergangenheit im Leistungssport geschuldet sein:
Für Adrian war die Teilnahme an einem der härtesten Velorennen Europas eher so etwas wie ein Experiment. Ein durchaus erfolgreiches, darf man sagen, denn der Hobbyvelofahrer schaffte es nicht nur bis ins Ziel, sondern blieb auch rund einen Tag unter dem Zeitlimit von 16 Tagen und 3 Stunden.
Bildquelle: lostdot.cc
Das diesjährige Rennen führte von Roubaix nach Istanbul.
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Bildquelle: Adrian
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Wenn vier Stunden Schlaf bereits «viel» sind
Die Regeln beim 4000-Kilometer sind relativ simpel. Der Start und das Ziel sind vorgegeben, dazwischen müssen die Fahrerinnen und Fahrer einige Checkpoints passieren. Der Rest der Route wird individuell geplant. Einmal – über die Dardanellen – durften die Fahrerinnen und Fahrer eine Fähre besteigen. Auch wie viel Zeit in die Erholung investiert wird, entscheiden die Teilnehmenden selbst. Robin setzte auf eine «konservative» Taktik, wie er es nennt, also mehr Schlaf zugunsten eines ausgeruhten Körpers.
Auch Adrian gönnte dem Körper trotz Zeitdruck relativ ausgedehnte Erholungsphasen, erlebte aber trotz dieser Taktik eine kleine Schrecksekunde.
Bei der Planung der jeweiligen Route spielt nicht nur die Distanz eine Rolle, sondern auch individuelle Vorlieben und technische Fähigkeiten. So kommt es, dass nicht alle Teilnehmenden genau gleich viele Kilometer zurücklegten. Bei Robin standen im Ziel 4052 Kilometer zu Buche, der zweitplatzierte Strasser fuhr 4209 Kilometer. Den Grund für diese Differenz von rund 150 Kilometern sieht Robin in der unterschiedlichen Fahrweise:
Während sich Robin als ehemaliger Mountainbiker auf unwegsamem Gelände wohlfühlt, nahm Adrian zugunsten einer ruhigeren Unterlage lieber etwas mehr Weg in Kauf.
Bildquelle: Adrian
Unterwegs waren die Strassen nicht immer gleich gut befahrbar.
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Robin hatte sich für das Rennen eine Taktik zurechtgelegt, die aufging und ihm während der gesamten Reise das Vertrauen gab, dass es dieses Jahr mit dem Sieg klappen könnte – er passierte alle Checkpoints als erster.
Neun Tage Rennmodus
Das Transcontinental Race zu fahren bedeutet für die Teilnehmenden auch, viele Tage lang auf sich alleine gestellt zu sein und wenig Austausch mit anderen Menschen zu haben. Viel Zeit, um über das Leben nachzudenken, bleibt trotzdem nicht, meint Robin:
Adrian hingegen war froh, ab und zu – wenn auch nur via Handy – mit der Aussenwelt im Kontakt zu stehen.
Bildquelle: Adrian
Zeit zum Kochen blieb den Fahrerinnen und Fahrern unterwegs nicht. Deshalb sah das Mittagessen auch mal so aus.
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Der Kontakt mit den Menschen, denen man entlang der Strecke begegnet, bleibt an einem Rennen, das sowohl auf körperlicher als auch auf mentaler Ebene so viel von den Teilnehmenden abverlangt, aber beschränkt.
Dass das Transcontinental Race keine Sightseeing-Tour ist, versteht sich von selbst:
Interaktionen, wenn auch unfreiwillige, hatten die Teilnehmenden unterwegs dafür mit Strassenhunden:
Wenn Schmerzen dazugehören
Von grösseren technischen Defekten blieben sowohl Adrian als auch Robin verschont – auf einer 4000 Kilometer langen Strecke über diverse Unterlagen keine Selbstverständlichkeit. Zu kämpfen hatten sie dafür mit dem eigenen Körper.
Bildquelle: Adrian
Adrian gönnt sich eine kurze Pause.
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Vor dem Rennen wurde Adrian ein Tipp mit auf den Weg gegeben, der ihm dabei half, auch Situationen wie diejenige in Österreich zu meistern:
Robin erreichte das Ziel in Istanbul trotz entzündetem Aussenband. Nach knapp neun Tagen, an denen er jeweils rund 450 Kilometer pro Tag gefahren war, erreichte er das Ziel. Doch für den Aargauer fühlte sich die Zieleinfahrt in diesem Jahr anders an als in den beiden Jahren zuvor.
Adrian erinnert sich noch gut, als er nach 15 Tagen Istanbul erreichte und die letzten Kilometer durch die Grossstadt unter die Räder nahm. Für ihn, der zum ersten Mal am Rennen teilnahm, war die Zieleinfahrt ein ganz spezieller Moment.
Der Kopf fährt mit
Wer an einem Rennen wie dem Transcontinental Race mitmacht, braucht viel Durchhaltevermögen, ist man verleitet zu denken. Eigenschaften, die am Rennen wichtig sind, können aber nicht unbedingt auf den Alltag übertragen werden, meint Robin:
Bildquelle: Adrian
Zwei Teilnehmende bei einer kurzen Verpflegungspause.
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Was Adrian aus dem Rennen mitnimmt, ist vor allem das Wissen, wozu der menschliche Körper eigentlich fähig ist. Etwas, dessen man sich erst so richtig bewusst wird, wenn man sich einmal in eine Extremsituation wie ein Rennen quer durch Europa begeben hat:
Doch schlussendlich ist das Ultra-Cycling ein Sport wie jeder andere, meint Robin, der seine Leistung nicht überbewerten möchte:
Für Robin war das Transcontinental eines seiner Karriere-Highlights, für Adrian eine Erfahrung, von der er noch lange zehren wird. Dennoch glauben beide nicht, dass sie nächstes Jahr noch einmal an den Start gehen werden: