Aargau/Solothurn

Aargauer Mutter misshandelt Pflegekind 8 Jahre lang – Ehemann meldet sich jetzt zu Wort

Strafbefehl

Aargauerin soll Pflegekind jahrelang misshandelt haben – Ehemann wehrt sich gegen Vorwürfe

23.05.2024, 10:32 Uhr
· Online seit 18.05.2024, 05:00 Uhr
Im Kanton Aargau deckt ein Strafbefehl einen grausamen Fall auf. Eine Pflegemutter quälte und schlug ihr Pflegekind über Jahre hinweg. Die Rede ist von Ohrfeigen, an den Haaren ziehen, gewaltsamen Fütterungen und vielen weiteren Vorfällen.
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Mit knapp einem Jahr kam das Mädchen, wir nennen es Livia*, zu einer Aargauerin und ihrem Ehemann in ein Pflegekindverhältnis. Während über zehn Jahren war Livia in der Folge beim Ehepaar, also ihren Pflegeeltern, im Kanton Aargau zu Hause. Während dieser Zeitspanne soll das Kind schon fas eine Folter erlebt haben. Denn wie ein Strafbefehl der Aargauer Staatsanwaltschat zeigt, wurde Livia von ihrer Pflegemutter regelmässig gequält. Dabei handelt es sich um Verletzungen der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, versuchte einfache Körperverletzung an einem Kind und mehrfache Tätlichkeiten.

Ein Journal des Grauens

In Bezug auf die Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht steht im Strafbefehl geschrieben: «Die Beschuldigte hat als Pflegemutter das Kind in seiner Entwicklung eingeschränkt, indem sie ihm über Jahre wissentlich und willentlich nicht die nötige Fürsorge hat zukommen lassen.» Auch nach dem zehnten Lebensjahr trug das Mädchen demnach Windeln. Als das Pflegeverhältnis beendet wurde, ging Livia in ein Internet.  Dort habe es die Windeln bereits nach den ersten drei Monaten während Tag und Nacht ablegen können, heisst es im Urteil weiter.

Weiter soll vonseiten der Pflegemutter gegenüber Livia ein autoritärer, kühler Erziehungsstil geherrscht haben. Zuneigung von der Mutter habe gefehlt. Bei Ausflügen durfte Livia nicht mit anderen Kindern spielen, sondern musste sich auf die Seite setzen und ein Buch lesen. Zudem unterstützte die Pflegemutter ihr Pflegekind bei den Hausaufgaben zu wenig und Livia wurde zu Hause intellektuell nicht gefördert. Dadurch manifestierte sich bei ihr eine Entwicklungseinschränkung.

Gewalt am Pflegekind – selbst unter der Dusche

In Bezug auf die einfache Körperverletzung an einem Kind steht im Strafbefehl geschrieben, dass die Pflegemutter Livia im Bett im Kinderzimmer an den Haaren in die Höhe gezogen und sie dann nach links und rechts geschüttelt habe. Diese Handlung dauerte rund zehn Sekunden, Livia war nicht in der Lage, sich zu wehren. Das Mädchen war zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre alt.

Auch wegen mehrfacher Tätlichkeit wurde die Pflegemutter verurteilt. Sie zog Livia an den Haaren sowie Ohren, erteilte ihr Ohrfeigen und schüttelte sie. Und wenn das Mädchen im Auto gesprochen hatte, habe die Pflegemutter sie in Bein gekniffen. Auch diese Tätlichkeiten wurden Livia zwischen dem 5. und 13. Lebensjahr angetan.

Strafe für Pflegemutter

Per Strafbefehl wurde die Aargauerin jetzt im April wegen all diesen Dingen verurteilt. Das Urteil scheint dabei relativ mild. Die Frau erhielt eine bedingte Geldstrafe in der Höhe von über 32'000 Franken. Dieses Geld muss sie aber nur bezahlen, sollte sie in den nächsten zwei Jahren erneut straffällig werden. Zudem muss die Pflegemutter eine Busse in der Höhe von 7000 Franken, die Strafbefehlsgebühr von 1200 Franken sowie die Polizeikosten in der Höhe von 25.50 Franken bezahlen. Insgesamt beläuft sich der Betrag somit auf etwas über 8200 Franken. Dieses Geld muss die verurteilte Pflegemutter bezahlen.

Vorwürfe gegen Staatsanwaltschaft

Nun meldet sich der Ehemann der Pflegemutter zu Wort und erhebt schwere Vorwürfe gegenüber der Staatsanwaltschaft. Der «Aargauer Zeitung» erklärt er, dass die im Strafbefehl geschilderten Vorwürfe falsch seien. Der Polizeibericht soll zudem die Frau entlastet haben. Allerdings habe die Staatsanwaltschaft diesen nicht mal gelesen, so der Mann weiter. Gegen ihn sei auch ermittelt worden, allerdings wurde er freigesprochen. Den Strafbefehl wollen sie nicht anfechten. «Uns fehlt einfach die Kraft», erklärt er weiter.

Der fallführende Staatsanwalt hat deswegen bereits eine schriftliche Protestnote von Yves Waldmann, dem Anwalt der Verurteilten, erhalten, wie «20 Minuten» ausführt. Darin heisst es, dass es erstaune, «dass Sie bei Ihrem Entscheid in keiner Weise berücksichtigen, was das Untersuchungsergebnis zutage brachte.» Die Staatsanwaltschaft stütze sich demnach auf «widerlegte Anfangsbehauptungen».

Anschuldigungen sollen von leiblicher Tochter kommen

Die Anschuldigungen gegen die Pflegemutter stützen sich auf Aussagen der leiblichen Tochter, die diese in einer Krisensituation während einer stationären psychiatrischen Behandlung gemacht und später in der Konfrontationseinvernahme widerrufen haben soll.

Auf die Vorwürfe des Anwalts und des Ehemanns geht Adrian Schuler, Sprecher der Aargauer Staatsanwaltschaft, aufgrund des Verfahrensgeheimnisses nicht im Detail ein. Jedoch werden im Allgemeinen für einen Entscheid aber jeweils mehrere Aussagen aufgenommen. Dass sich das Aussageverhalten von an Straffällen beteiligten Personen im Verlauf der Verfahren ändere, sei nicht ungewöhnlich und muss jeweils im Kontext zur Situation betrachtet werden, erklärt Schuler gegenüber 20 Minuten. Grundsätzlich bestünde aber die Möglichkeit, dass Einsprache gegen einen Strafbefehl erhoben werden könne. Geschieht dies nicht, gehe die Staatsanwaltschaft von Einverständnis aus.

Ob es sich hierbei um einen Justizirrtum handelt, kann nicht beantwortet werden. Weil der Strafbefehl rechtskräftig ist, kann die Pflegemutter nicht mehr als solche arbeiten. Die Behörden prüfen jedes Jahr den Strafregisterauszug von möglichen Pflegeeltern.

*Name der Redaktion bekannt

veröffentlicht: 18. Mai 2024 05:00
aktualisiert: 23. Mai 2024 10:32
Quelle: ArgoviaToday

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