Schweiz

Fake-News per KI: Diese regionalen Newsseiten klauen von SRF und Tamedia – und machen dabei Fehler

Mit KI und ohne Hirn

Von SRF und Tamedia geklaut: Diesen Newsseiten solltest du nicht trauen

19.08.2024, 13:19 Uhr
· Online seit 17.08.2024, 12:47 Uhr
Grundsätzlich sollte man nicht allem trauen, was man im Internet liest. Kaum ein Fall illustriert das besser als das neue Phänomen von Newsseiten, die ihre Inhalte per KI von seriösen Portalen abgreifen und wiederverwerten – und dabei peinliche Fehler machen.
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Wer sich heutzutage über das Geschehen in der eigenen Region informieren will, hat es eigentlich so einfach wie noch nie. Per Suchmaschine werden zu jedem Newsthema in Sekundenschnelle tausende Treffer angezeigt. Doch es gibt immer mehr dubiose Seiten – auch mit vermeintlich regionalen Inhalten – die andere Texte durch künstliche Intelligenz stehlen und neu präsentieren.

Etwas kann nicht stimmen...

Wer auf die Seite «Bern Bulletin» stösst, dürfte wohl knackige Neuigkeiten aus der Bundesstadt oder zumindest aus dem Kanton erwarten. Bei «Geneva Global News», «Lucerne Latest» oder «Region News» dürfte man ähnliches erwarten. Auf den ersten Blick scheint es sich zwar um eine «normale» Newsseite zu handeln. Doch bereits beim zweiten Blick merkt man, dass etwas nicht stimmen kann.

Die Bilder wirken seltsam, passen nicht zum Titel oder ergeben überhaupt keinen Sinn – offensichtlich sind die Bilder mit künstlicher Intelligenz generiert. Auch die Texte sind schnell als vom Computer erstellt entlarvt. Die Ähnlichkeiten zwischen den Artikeln auf seriösen Portalen und der KI-Newsseiten sind nur oberflächlich.

Herr-der-Ringe-Verhunzung und KI-Einheitsbrei

Das ist die Vorgehensweise: Auf den KI-Portalen werden Artikel von seriösen Seiten abgegriffen, verschrieben und als eigener Stoff publiziert. Oftmals bleiben die Titel die gleichen oder werden minimal abgeändert. Auch Protagonisten und Interviewpartner werden in den verschriebenen Texten zitiert – ohne Quellenangabe.

Besonders frech ist die Seite «Swiss Daily News» unterwegs. Mit Autorenprofilen inklusive Profilbildern wird suggeriert, dass die Artikel von Menschen verfasst werden. Auch hier ist aber offensichtlich, dass das nicht der Fall ist – sowohl Texte als auch Bilder sind KI-Einheitsbrei. Und  dass «Ursula» bis zum Mittag bereits 11 Artikel verfasst haben soll, wirkt ziemlich unglaubwürdig. So schnell sind wir nicht einmal auf der Today-Redaktion...

Für Schmunzeln sorgen die Vergleiche von Kopien und Originalartikeln. So etwa dieser Artikel vom 30. Juli. «Ursula Schmid» hat sich vier Schweizer Wandertipps aus «Der Herr der Ringe» herausgepickt. Nur wenige Stunden zuvor hatte «SRF» dieselbe Idee. Der KI-Beitrag schwärmt von den «majestätischen Bergen, die Tolkiens Nebelgebirge inspiriert haben». Im recherchierten Beitrag von «srf.ch» wird das auch belegt: «Im gleichen Brief wird deutlich, dass ihn die Berner Oberländer Alpen für das Nebelgebirge inspirierten.»

Mit diesem Bild wurde der kopierte Beitrag des KI-Portals illustriert:

Selbst vor Essays von Regionalredakteuren machen die KI-Seiten keinen Halt. Ende Juli sinnierte Dölf Barben in der «Berner Zeitung» und «Der Bund» etwa über seine Raketenabstinenz und fragte sich: «War ich bloss eine grosse Nervensäge?» Im Verschrieb auf «Bern Bulletin» wird der Name des Autors zwar erwähnt, sonst finden sich aber keine Spuren, die auf die Herkunft des ursprünglichen Textes hinweisen. Und um zu verstehen, warum auf dem Bild eine seltsame Velo-und-Blumen-Mischung zu sehen ist, braucht man wohl den Hirnschmalz einer künstlichen Intelligenz.

Wenn die KI Fake-News erstellt

Besonders heikel wird die Lage, wenn die Texte auf den KI-Portalen Fehler enthalten. Anfang August konnten die Behörden in Österreich etwa einen geplanten Terroranschlag bei einem Taylor-Swift-Konzert verhindern. Ein Artikel auf «Bern Bulletin» vom 8. August titelte danach: «Swifties kommen nach dem Terroranschlag zusammen, um zu trösten und zu trauern.» Zu diesem Anschlag, der so suggeriert wird, ist es aber – glücklicherweise – gar nicht gekommen.

Ein weiteres Beispiel auf «Swiss Daily News»: Eigentlich denkt man sich beim Artikel «Neuseeländische Regierung behält die ‹Furzsteuer› bei» nichts Weiteres – anscheinend gab es eine Steuer auf Methanemissionen in der Landwirtschaft, welche beibehalten wird. Wenn man den Artikel der Originalplattform srf.ch mit dem Titel «Neuseeländische Regierung lässt ‹Furzsteuer› bleiben» anschaut, fällt einem auf, dass die Steuer gar nie eingeführt wurde. Im Text auf dem KI-Portal ist das zwar auch erklärt, aber wer nur die Titel überfliegt, wird in die Irre geführt.

Wer sich also hauptsächlich über solche Plattformen informiert, wird mit Fake News gefüttert. Auch peinlich: Die Webseiten machen auch aus Fehlermeldungen eigene Artikel.

Das sagen die betroffenen Verlage

Die Today-Redaktion hat bei den Verlagen nachgefragt, ob Ihnen solche Portale, die Inhalte automatisch verwerten, bekannt sind. «Berner Zeitung, Bund und andere Publikationen von Tamedia beobachten regelmässig Online-Portale, die unautorisiert ihre Inhalte verwerten, sei das durch exzessives Abschreiben oder durch Einsatz von KI», antwortet Franziska Lurk, Kommunikationsverantwortliche bei Tamedia. «Wir prüfen rechtliche Schritte gegen alle Portale, die unsere Inhalte unautorisiert übernehmen. Diese verletzen in der Regel das Urheber- und das Wettbewerbsrecht.» Die Sprecherin betont, dass solche Online-Portale allen Medien schaden – «unabhängig davon, ob sich diese durch Abos oder Werbung finanzieren».

Auch bei SRF freut man sich nicht über diese Webseiten. «Diese Wiederverwertung von SRF-Inhalten durch KI-Newsseiten ist nicht legal. SRF wird die Betreiber der Webseiten auffordern, die SRF-Inhalte zu entfernen», teilt SRF-Mediensprecher Roger Muntwyler auf Anfrage mit.

Wer steckt dahinter?

Webseiten, die per KI die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten abgreifen und in Sekundenschnelle kopieren: Ist es ein Zufall, dass es aktuell mehrere solcher Plattformen gibt? Nein, denn hinter den Webseiten steckt ein System: Alle bisher zitierten Seiten, also «Swiss Daily News», «Region News» und «Bern Bulletin» werden von der gleichen Firma betrieben, der Basler Beratungsfirma «First Consulenza AG».

Hinter der First Consulenza AG steckt eine schillernde Person: Der Basler Investor und Verleger Francesco Ciringione, der vor einigen Jahren als heimlicher FC Schaffhausen-Investor gehandlet wurde, und der bei mehreren Projekten mit Nati-Trainer Murat Yakin zusammengearbeitet hatte.

Und die KI-Newsportale werden nicht etwa versteckt, sondern offen beworben. Vor wenigen Jahren wurde die «Schweizer Fachmedien GmbH» gegründet, eine Tochtergesellschaft der First Consulenza AG, bei welcher der Basler Investor als CEO waltet. Auf der Seite der «Schweizer Fachmedien» werden so auch die KI-Portale stolz als «unsere Presseportale» präsentiert.

Das KI-Projekt wird eingestellt

Auf Anfrage der Today-Redaktion meldet sich der Projektverantwortliche Ersin Yornik, der die Hintergründe erklärt: «Ziel dieses Projekts war es, zu untersuchen, wie sich künstliche Intelligenz als redaktionelles Werkzeug im Vergleich zu menschlichen Redakteuren verhält und wie das Publikum darauf reagiert.» Das Vorgehen, per KI Inhalte von anderen Nachrichtenplattformen zu recherchieren, zu bearbeiten und zu veröffentlichen, habe «erwartungsgemäss zu gemischten Reaktionen geführt, sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei unseren eigenen Redakteuren, die diesem Ansatz auch kritisch gegenüberstanden». Diese Bedenken seien von Anfang an Teil der Überlegung gewesen, wie Yornik erklärt.

Und er verrät, dass das Projekt eingestellt wird: «Unter Berücksichtigung dieser Rückmeldungen haben wir beschlossen, das Projekt anzupassen. Ab dem 20. August 2024 werden diese Webseiten nicht mehr von der KI betrieben und es werden keine Artikel mehr automatisch umgeschrieben. Ausserdem werden alle von der KI umgeschriebenen Inhalte entfernt.»

Die Erfahrungen, die die First Consulenza AG mit dem Projekt gemacht hat, werden in der nächsten Ausgabe des Magazins Prestige Business (das ebenfalls von der Schweizer Fachmedien GmbH herausgegeben wird) besprochen, wie Ersin Yornik erklärt.

«Zeigt auf, wohin die Reise geht»: Das sagt der Experte

Waren die KI-Seiten der Beratungsfirma und des Medienunternehmens wirklich nur ein Test? Oder steckt mehr dahinter? «Dafür, dass es sich lediglich um ein Experiment handelt, spricht die Tatsache, dass die KI-generierten News-Seiten werbefrei sind», schätzt Nick Lüthi, Medienjournalist und Redaktor bei «persoenlich.com», ein.

«Um herauszufinden, wie man KI als redaktionelles Werkzeug einsetzen kann, wäre es nicht erforderlich gewesen, die Ergebnisse zu veröffentlichen und so Urheberrechte zu verletzen. So wird der Eindruck erweckt, als sei da jemand am Werk, der sich mit den Konsequenzen seines Handelns nicht wirklich auseinandergesetzt hat.» Gerade von einem Medienunternehmen hätte Lüthi erwartet, dass man sich an «Gepflogenheiten und Spielregeln» hält, oder zumindest die Quellen nennt.

«Diese Experimente zeigen aber auch auf, wohin die Reise geht – im Guten wie im Schlechten», sagt der Medienjournalist. Künstliche Intelligenz könne Redaktionen dabei unterstützen, längere Texte, etwa Agenturmeldungen, zu kürzen und zusammenzufassen. Sowohl SRF als auch Tamedia bestätigen auf Anfrage, dass KI als Hilfsmittel genutzt wird. «Zur Transkription von Videos und Audios etwa wird eine ‹Speech to Text›-Anwendung eingesetzt», sagt SRF-Sprecher Roger Muntwyler.

Auf der anderen Seite stehen KI-Portale, die voll auf die Produkte anderer setzen. «Es wird Trittbrettfahrer geben, die versuchen werden, aus Inhalten Dritter Profit zu schlagen», sagt Nick Lüthi. «Dagegen müssen Journalistinnen und Verlage vorgehen.»

Update vom 19. August: Die Verantwortlichen haben, wie angekündigt, die betreffenden Webseiten angepasst und die KI-Inhalte entfernt.

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veröffentlicht: 17. August 2024 12:47
aktualisiert: 19. August 2024 13:19
Quelle: BärnToday

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