Schweiz

Immobilien-Experte ordnet Raiffeisen-Bericht ein – deshalb bauen weniger Private

Immobilien-Experte

«Der Bundesrats-Lohn reicht nicht, um in Zürich ein Haus zu kaufen»

· Online seit 17.05.2024, 07:43 Uhr
Private bauen weniger – institutionellen Investoren gewinnen die Oberhand. Das geht aus einem Raiffeisen-Bericht hervor. Donato Scognamiglio ist Immobilien-Experte und erklärt, wie diese Entwicklung stattgefunden hat.
Juliette Baur / watson
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Privatpersonen bauen immer weniger. 2001 reichten Private noch rund 40 Prozent der Baugesuche ein – im letzten Jahr waren es noch 18 Prozent. Überrascht Sie diese Erkenntnis?
Donato Scognamiglio:
Ich finde die Raiffeisen-Auswertung sehr interessant – es ist richtig und wichtig, dass diese Daten erfasst wurden. Aber einige Faktoren wurden ausser Acht gelassen.

Die da wären?
Viele Private müssen eine Hypothek aufnehmen, um selbst zu bauen. Die grossen Pensionskassen brauchen das nicht. Sie legen ihr Geld in solchen Bauprojekten an. Sie sind den Privaten also weit voraus. Und: In der Phase, als die Zinsen sehr tief waren, haben ebendiese Pensionskassen und institutionelle Investoren den Immobilienbau überhaupt als Anlageort entdeckt. Viele dieser Akteure gab es vor 30 Jahren noch gar nicht – das ist ein wichtiger Grund, warum die privaten Bauherren in den Hintergrund gerückt sind.

Hat die Entwicklung auch mit den Wohnpräferenzen der Bevölkerung zu tun?
Ja. Der Trend ist, dass die Leute heute in der Stadt wohnen wollen. Die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer leben in einer Stadt oder der städtischen Agglomeration. Diese Verstädterung bedeutet auch: Wenn jemand in der Stadt bauen will, dann ist der Betrag, den man dafür bezahlen muss, enorm hoch.

In dem Bericht steht auch, dass die Privaten immer weniger Einfamilienhäuser selbst bauen.
Seit Jahren sagen wir, dass die Einfamilienhäuser ein Auslaufmodell seien. Aber das stimmt nicht: In der Schweiz gibt es rund 1,7 Millionen Gebäude – rund 1 Million davon sind Einfamilienhäuser. Aber dennoch: Die Bautätigkeit für Einfamilienhäuser nimmt ab, weil der Bodenpreis extrem hoch ist. Wenn man etwa ein Haus erbt, dann baut man auf diesem wertvollen Bauland heute eher ein Reihenhaus oder ein Wohnblock, als die Geschwister auszubezahlen und selbst im Haus zu wohnen.

Auch diese Problematik besteht in der Stadt viel eher, als auf dem Land, oder?
Ja. Ein zehnjähriges Einfamilienhaus mit einer Fläche von 140 Quadratmetern kostet in der Stadt Zürich rund drei Millionen Franken. Es gibt kein Schweizer Bundesrat oder Bundesrätin, welche die Tragbarkeitsregeln mit ihrem Lohn von einer halben Million Franken pro Jahr erfüllen würde. Pro Million Hypothek braucht man 150'000 bis 180'000 Franken Einkommen – bei drei Millionen sind wir also schon über 500'000 Franken. Das heisst: Nicht einmal der Lohn von Viola Amherd oder Albert Rösti reicht aus, um in Zürich ein Haus zu kaufen.

Welche Prognosen haben Sie für die Zukunft?
Die Schweiz wird zu Monaco – schier unbezahlbar. Dort subventioniert der Fürst die Bevölkerung, denn sonst könnten sie die Wohnungen nicht mehr zahlen. Vor dieser Herausforderung stehen wir auch in der Schweiz: Wie schaffen wir Wohnraum für jene, die nicht «double income, no kids»-Hochverdiener sind?

Wie kann man diese Menschen entlasten?
In den Städten versucht man es nun mit Genossenschaftswohnungen – auch das ist aber nicht gratis. Die Schweiz ist im Moment sehr attraktiv und es ist schwer, das Angebot zu erhöhen. Deshalb steigen die Preise weiter und die Bevölkerungsstruktur verändert sich. Die Ärmeren wandern aufs Land ab und kaufen sich dort Eigentum oder bezahlen weniger Miete.

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Sprechen wir über die Mieter. Hat es auf die einen Einfluss, ob Private oder Unternehmen Mehrfamilienhäuser bauen?
Nein. Wenn man Hunger hat, dann ist einem egal, wer das Brot backt. Ich wiederhole mich: Wir brauchen mehr Wohnraum in den Zentren, denn dort wollen die Menschen wohnen.

Welche Ansätze gibt es in der Politik?
Die Rechten setzen eher darauf, mehr zu bauen. Und zwar: Schneller, höher, dichter. Die Linken setzen sich für die Mieter ein und dafür, dass diese ihre Mieten moderater werden und sie weiterhin bezahlen können, etwa auch nach Sanierungen. Meiner Meinung nach liegt die Lösung wohl irgendwo in der Mitte. Man sollte die Hürden senken, um überhaupt bauen zu können. Aber man muss sicher auch schauen, dass die Bevölkerung das überhaupt bezahlen kann. Es bringt nichts, teure Wohnungen zu haben, wenn die Leute schon die Krankenkassenprämien kaum bezahlen können. Es braucht einen runden Tisch, um Lösungen zu finden.

Diesen runden Tisch hatten wir bereits, etwa beim «Aktionsplan Wohnungsknappheit». Dort hatte die Baulobby wohl ein überdurchschnittlich hohes Mitspracherecht. Der Mieterverband bezeichnete den Aktionsplan gar als «Augenwischerei». Ist das nicht besorgniserregend?
Jemand muss am Ende diesen Wohnraum bauen. Die Privaten können es ja nicht mehr bezahlen. Man muss einen Mittelweg finden und den Investoren Vorschriften machen, etwa dass sie einen Teil der Wohnungen nicht gewinnbringend vermieten dürfen. Aber das Problem ist, dass die Projekte dann nicht mehr wirklich rentieren und sie so ganz abgeblasen werden. Es muss ein Zusammenspiel stattfinden – zwischen Politik, Investoren und Mietern. Sonst funktioniert gar nichts.

Noch zum Schluss: Im Raiffeisenbericht steht, dass die Zahl der eingereichten Baugesuche für Wohnungen stagniert. Für unsere Umwelt ist das eigentlich etwas Positives, oder nicht?
Doch, absolut. Man muss eine Grundsatzfrage im Hinterkopf behalten: Welches Wachstum ist noch gesund? Wir müssen am Schluss bauen und bewahren.

veröffentlicht: 17. Mai 2024 07:43
aktualisiert: 17. Mai 2024 07:43
Quelle: watson

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