Schweiz

Stell dir vor, es ist Krieg, und mächtige Politiker stecken den Kopf in den Sand

Analyse

Mächtiger Schweizer Politiker verharmlost Putins Krieg – das steckt dahinter

· Online seit 05.06.2024, 16:25 Uhr
Wenn im Schweizer Parlament russische Narrative verbreitet werden, ist das mehr als beunruhigend. Putins hybride Kriegsführung scheint zu fruchten – und wir sollten endlich dagegenhalten.
Daniel Schurter / watson
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Es ist ein Satz, bei dem alle Alarmglocken läuten:

Das ist reinste Propaganda. Ein Narrativ, das russische Desinformations-Krieger unermüdlich auf Social-Media-Plattformen und bei Telegram streuen. Ein Narrativ, das auch Roger Köppels «Weltwoche» verbreitet – und sich damit zu Putins hiesigem Sprachrohr macht.

Geäussert wurde der obige Satz jedoch im eidgenössischen Parlament. Und zwar im Ständerat. Vom Mitte-Politiker Peter Hegglin aus Zug.

Die NZZ kommentierte erstaunt:

Der 63-jährige Hegglin, gelernter Landwirt und späterer Finanzdirektor in Zug, machte im Ständerat dann auch gleich weiter mit pro-russischen Narrativen.

Dieser Satz sagt tatsächlich viel aus.

Ständerat Hegglin hat offensichtlich nicht «gecheckt», dass Putin nicht ernsthaft verhandeln wird, solange er sich Chancen auf einen Sieg ausrechnet bei seinem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine.

Ein russischer Sieg, wohlgemerkt, der der Vernichtung eines demokratischen Staates gleichkäme. Ein Sieg, der eine seit dem Zweiten Weltkrieg nie dagewesene Fluchtwelle und Destabilisierung auslösen würde.

Ein «Sieg», der ins Chaos führen könnte.

Wenn Putins Lügen auf fruchtbaren Boden fallen

Damit nicht genug, bediente Hegglin im Parlament auch noch ein weiteres pro-russisches Narrativ: Er liess sinngemäss durchblicken, es habe seitens des Westens an Verhandlungsbereitschaft gemangelt, sonst hätte die russische Invasion vermieden werden können.

Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt. Doch müssen wir Hegglin, der selber bestreitet, ein «Putin-Versteher» zu sein, eigentlich dankbar sein.

Denn damit haben wir es schwarz auf weiss: Russlands Lügen sickern in die Köpfe gestandener Demokraten ein und beeinflussen so die Entscheidungen in einem der mächtigsten politischen Gremien der Schweiz.

Einem Gremium, das mit der existenziell wichtigen Aufgabe betraut ist, über die strategische Ausrichtung unserer Landesverteidigung zu entscheiden.

Fürs Protokoll: Immerhin wurde Hegglin von einem freisinnigen Ratskollegen und einer sozialdemokratischen Ratskollegin widersprochen – und in der Folge hagelte es auch aus der eigenen Partei massive Kritik. Doch der Fall zeigt exemplarisch, woran die Schweizer Politik krankt.

Während sich die Meldungen zur hybriden Kriegsführung Russlands gegen unsere Institutionen in besorgniserregendem Masse häufen, steckt eine Mehrheit der nationalen Politikerinnen und Politiker den Kopf in den Sand. Noch immer scheint der Irrglauben vorzuherrschen, dass sich die Schweiz schon irgendwie durchmogeln werde. Wäre ja nicht das erste Mal.

Es ist eine Haltung, die wohl auch in der Bevölkerung relativ verbreitet ist: Der verbrecherische russische Angriffskrieg in der Ukraine ist weit weg und wir konzentrieren uns besser auf die eigenen Belange.

Nur ist dies viel zu kurz gedacht. Denn der frühere KGB-Geheimdienstoffizier Putin hat eine Rechnung mit dem verhassten Westen offen. Er kennt ganz genau unsere Schwächen und nutzt diese gnadenlos aus.

Sein Ziel ist bekannt: Er will das freiheitlich-demokratische System zerstören. Und wir können ihn nur mit vereinten Kräften aufhalten. Das Zeitfenster, um ihn noch in der Ukraine zu stoppen, wird sich irgendwann schliessen, falls wir der Ukraine nicht (im Rahmen des Völkerrechts) mit allem Nötigen bei der Verteidigung helfen.

Endgegner: Demokratie

Tatsächlich stehen wir vor der grössten Bedrohung für unsere Sicherheit seit Adolf Hitler und den Nazis. Mit dem gewichtigen Unterschied, dass uns dieses Mal die «bewaffnete Neutralität» nicht retten wird.

Russland muss vielleicht gar keinen militärischen Konflikt mit dem Westen vom Zaun brechen. Die derzeitige Strategie ist es, die Unterstützerländer der Ukraine mit schmutzigen Tricks aus der Balance zu bringen.

Offenbar lagere der Kreml seine Drecksarbeit an vom Glück verlassene junge Männer in ganz Europa aus, konstatierte ein Journalist. Gewisse Leute seien für ein paar tausend Euro auch bereit, Sabotageakte auszuführen. Tatsächlich kam es in den letzten Monaten bereits in mehreren NATO-Ländern zu mysteriösen Bränden und Anschlägen auf kritische Infrastruktur.

Wann legt der Bund einen Zacken zu?

Sollte Russlands hybride Kriegsführung Erfolg haben, gewinnen Populisten und Nationalisten europaweit die Oberhand. In der Folge schaut jeder nur noch für sich selbst und die wichtigsten länderübergreifenden Organisationen, ob EU oder NATO, zerfallen. Dann ist es vorbei mit Wohlstand und Sicherheit. Auch bei uns.

Das vorletzte Wort soll die Schweizer Verteidigungsministerin Viola Amherd haben, die seit Monaten im Visier von Putins Propaganda steht und zuletzt das Ziel einer Verleumdungskampagne war. Sie mahnt:

Aber ist diese Botschaft überall angekommen?

Die Verantwortlichen – allen voran der Bundesrat – tun gut daran, kommunikativ in die Offensive zu gehen und der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken. Die ruhigen Jahre sind vorbei, nun müssen wir uns für das Worst-Case-Szenario rüsten, das hoffentlich nie eintritt.

Dazu gehört, dass wir endlich – wie schon in der Europäischen Union erfolgt – Putins hybriden Krieg nicht länger unwidersprochen hinnehmen. Ein wichtiger Schritt wäre, das russische Staats-Propaganda-Medium RT und seine Ableger zu verbieten. Aber auch bei TikTok und anderen Social-Media-Plattformen sollten wir aktiv gegen die Verbreitung von Hass und Lügen vorgehen.

Um unsere Gesellschaft mittel- und langfristig zu schützen und die Resilienz der Demokratie zu erhöhen, gilt es, die Medienkompetenz der Bürgerinnen und Bürger auf allen Altersstufen zu stärken. Dann werden in Zukunft hoffentlich auch im eidgenössischen Parlament keine Narrative von Despoten mehr verbreitet.

PS: Unbelehrbar?

Marc Rüdisüli, Präsident der Mitte-Jungpartei, fand gemäss «Tages-Anzeiger» deutliche Worte, was die fragwürdigen Aussagen seines Parteikollegen Hegglin betrifft. Diese seien «inakzeptabel». Und der Ukraine eine Mitschuld an Russlands verbrecherischem Angriffskrieg zu geben, sei «haarsträubend».

Hegglin selbst versuchte seine fragwürdigen Äusserungen zu verteidigen – und betätigte sich auch noch als Friedens-Schwurbler: Er glaube nicht, dass der Krieg auf dem Schlachtfeld entschieden werde, es müsse eine diplomatische Lösung geben. Auweia!

Zur Erinnerung: Der einzige Mann, der den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands sofort stoppen kann, sitzt im Kreml und lacht sich wohl wegen der unerwarteten Schützenhilfe aus der Schweiz ins Fäustchen.

Wenn selbst hochrangige Politiker dem derzeit gefährlichsten Demokratiefeind den Rücken stärken, müssen wir uns wahrlich um die Zukunft sorgen. Putin versteht nur eine Sprache, nämlich die der Stärke.

Quellen

veröffentlicht: 5. Juni 2024 16:25
aktualisiert: 5. Juni 2024 16:25
Quelle: watson

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