Aargau/Solothurn

Immer mehr Erziehungsarbeit belastet Aargauer Lehrpersonen

Aargauer Schulen

Mathe, Deutsch, Bio... und Erziehungsarbeit?

· Online seit 10.07.2021, 16:21 Uhr
Lehrpersonen müssen immer häufiger auch aktive Erziehungsarbeit leisten. Ein Bericht des Lehrerverbands Solothurn zeigt, dass dies für Solothurner Lehrpersonen belastend ist. Wir haben nachgefragt, wie die Situation im Rüeblikanton ist.
Anzeige

Mathematik, Deutsch, Naturwissenschaften. Die Kinder in diesen Fächern zu unterrichten, ist nicht alles, was Lehrpersonen leisten müssen. Laut einer Befragung des Solothurner Lehrerverbands, an der 1079 Lehrpersonen teilnahmen, ist vor allem die Belastung durch Erziehungsarbeit in den letzten Jahren gestiegen. Dasselbe Bild bietet sich auch im Kanton Aargau, wie Kathrin Scholl, Präsidentin des Aargauer Lehrerverbands ALV, gegenüber ArgoviaToday bestätigt.

Was ist Erziehungsarbeit?

Erziehungsarbeit ist und war schon immer ein Bestandteil der pädagogischen Arbeit. Als Lehrperson hat man unterstützend an der Erziehungsarbeit mitgewirkt. Aber genau hier liegt der Knackpunkt: Mittlerweile wird Erziehungsarbeit zunehmend auf die Lehrpersonen abgewälzt und die Eltern entziehen sich ihrer Verantwortung. «Es fängt bei kleinen Dingen an. Das Aufräumen, Grüezi sagen, den respektvollen Umgang mit den Gspändli und mit Erwachsenen», sagt Kathrin Scholl. Immer häufiger seien Kinder schnell aggressiv – würden sogar zuschlagen. Das Hauptproblem sei, dass Eltern und Lehrpersonen nicht mehr als Einheit gegenüber den Kindern auftreten. «Wenn die Eltern natürlich beim Abendessen schlecht über die Lehrpersonen reden, wie soll das Kind dann Respekt haben?», fragt die Präsidentin des ALV.

Das perfekte Kind als Projekt

Auf die Frage, warum die Problematik in den letzten Jahren zugenommen habe, weiss Kathrin Scholl keine klare Antwort. «Das ist natürlich individuell, weil auch Erziehungsstile sehr unterschiedlich sind. Ich fürchte aber, dass in der heutigen Zeit ein Kind immer mehr zum Projekt wird.» Heisst: Eltern messen ihren persönlichen Erfolg daran, wie «perfekt» ihre Sprösslinge sind. Im Umkehrschluss kann das eigene Kind ja unmöglich etwas Schlechtes tun, weil dies den Misserfolg der Erziehenden widerspiegeln würde. Dabei sei es nicht der schulische Druck, der zugenommen habe, sagt Scholl. Aber Eltern würden immer mehr den gesellschaftlichen Druck und den Erfolgsdrang auf ihre Kinder projizieren.

Mit Windeln in den Kindergarten

Die Schere der Entwicklungsdifferenz sei im Kindergarten am grössten. Es komme immer häufiger vor, dass Kinder noch nicht trocken seien, wenn sie in den «Kleinen Chindzgi» kommen. Nebst allen alltäglichen Aufgaben auch noch Windeln wechseln zu müssen, sei eine zusätzliche Belastung für die Lehrpersonen. Je älter die Kinder würden, desto weniger werde die nötige Erziehungsarbeit. Man merke aber auch in der Oberstufe Differenzen: Während Bezirksschüler tendenziell wenig erziehungstechnische Probleme machen würden, sehe dies in der Sek und Real schon anders aus. Kathrin Scholl sieht hier die Unterschiede beim sozialen und kulturellen Status der Familien.

Unterstützung gefordert

«Es ist schon wichtig zu sagen, dass es grösstenteils ja funktioniert», betont Scholl. Viele Eltern kooperierten nach wie vor gut mit den Lehrpersonen. Als Unterstützung wünscht sich die Präsidentin des ALV aber, dass alle Eltern mit den Lehrerinnen und Lehrern an einem Strang ziehen würden. «Die Schule soll in Erziehungsthemen als Unterstützung dienen und nicht umgekehrt. Eltern sollen ihre Kinder die Konsequenzen spüren lassen, wenn diese Grenzen überschreiten», so Scholl. Doch auch von offizieller Seite wünscht sie sich mehr Gehör: «Es wäre schon schön, würde der Kanton auch mal wieder eine Lehrpersonen-Befragung durchführen. Dann würde man merken, dass die kalkulierte Arbeitszeit einer Lehrperson bei Weitem nicht mehr ausreicht, um alle Anforderungen umzusetzen.» Weitere Ausbaumöglichkeiten sieht sie in der Schulsozialarbeit und der Heilpädagogik. Wünschenswert wäre laut dem Lehrerverband, dass solche Themen kantonal und nicht wie bisher kommunal aufgegriffen würden.

Lehrpersonen mögen die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern

Abschliessend gilt aber auch zu erwähnen, dass nicht alles schlecht ist. Im Wesentlichen sei die Arbeit mit den Kindern das, was den Lehrpersonen gefalle und sie auch erfülle. Es sei eine Herausforderung, die die Unterrichtenden gerne annehmen würden. «Die Belastung ist hoch, ja, aber auch die Zufriedenheit», erklärt Kathrin Scholl.

veröffentlicht: 10. Juli 2021 16:21
aktualisiert: 10. Juli 2021 16:21
Quelle: ArgoviaToday

Anzeige

Mehr für dich

Anzeige
Anzeige
argoviatoday@chmedia.ch