Schweiz

Alt und einsam: Ein Phänomen, das sich still verbreitet

Alt und einsam

Ein Phänomen, das sich still verbreitet

· Online seit 03.01.2022, 07:41 Uhr
Einsamkeit betrifft alle. Das Problem spitzt sich im Alter aber zu. Oft hilft es, zu reden. Warum das Frauen im Alter leichter fällt und warum es wichtig ist, dass gerade jetzt die Ältesten und die Jüngsten zusammenhalten.
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Rund ein Drittel der Schweizer Bevölkerung über 65 fühlt sich «manchmal» bis «sehr häufig» einsam, wie Zahlen des Gesundheitsobservatoriums zeigen. Gründe dafür gibt es viele. Die einen haben ihre Partner verloren, andere sind nicht mehr so mobil und deshalb viel zuhause. Oft sind es äussere Umstände wie die Pensionierung oder der Tod einer nahestehenden Person, die zu einer sozialen Isolation führen. Die Einsamkeit ist ein Phänomen, von dem nahezu alle westlichen Gesellschaften betroffen sind und das sich schnell ausbreitet, wenn auch im Stillen. Denn über ihre Einsamkeit zu sprechen, fällt den Betroffenen schwer. Zu negativ behaftet das Problem, zu gross die Scham. Dabei ist es oft gerade das, was hilft: reden.

Von Familienproblemen, dem Alltag, Banalem und Tiefgründigem

Gemeinschaft durch Austausch: Hier setzt das Projekt «malreden» an. Die Telefonhotline richtet sich an ältere Menschen mit Gesprächsbedarf. Sie ist kostenlos, anonym und schweizweit verfügbar. Seit der Lancierung im April wurden mehr als 1'000 Anrufe über die Hotline getätigt. Die Gespräche seien so unterschiedlich, wie die Menschen, die anrufen, sagt Eve Bino, Co-Gründerin des Projekts. Einige würden einfach ein bisschen plaudern wollen, andere erzählten von ihrem Tag oder davon, was sie gerade beschäftigt. «Oft beschreiben die Anrufenden ein Gefühl des Alleinseins. Auch wenn Alleinsein nicht automatisch einsam sein bedeutet, bin ich überzeugt, dass zu häufiges Alleinsein das Gefühl der Einsamkeit begünstigen kann.»

Über Weihnachten nehmen viele ein verstärktes Gefühl von Einsamkeit wahr. Eve Bino und ihr Team aus 33 Freiwilligen haben das Gesprächsangebot über die Festtage deshalb ausgedehnt. Und es wurde genutzt: Mehr als doppelt so viele Anrufe sind über Weihnachten eingegangen. Die meisten Anrufenden seien über 75 Jahre alt und fast ausschliesslich weiblich.

Alt, einsam, Frau

Ruth Treyer arbeitet seit über 30 Jahren als Sozialarbeiterin und ist Bereichsleiterin Soziales von Pro Senectute Aargau. Sie bestätigt, dass deutlich mehr Frauen Beratungsangebote annehmen oder sich auf soziale Projekte einlassen. «Über 62 Prozent der Seniorinnen leben allein. Frauen werden im Schnitt älter, in der Beziehung ist es aber gleichzeitig der Mann, der in den meisten Fällen älter ist als die Frau. Zudem lassen sich Männer nach einer Trennung oder dem Tod der Partnerin eher auf eine neue Beziehung ein als Frauen», erklärt die Sozialarbeiterin dieses Phänomen.

Die Pandemie hat das Problem zusätzlich verschärft. Nicht nur alte Menschen, sondern insbesondere die 15 bis 24-jährigen geben an, sich häufig einsam zu fühlen. «Es sind die ältesten und die jüngsten unserer Gesellschaft, die psychisch am meisten unter der Pandemie leiden», so Treyer abschliessend. Die Gründe seien zwar verschiedene, das Gefühl der Einsamkeit aber das selbe. «Statt immer von den Unterschieden zwischen den Generationen zu sprechen, davon, für wen die Massnahmen nun am einschneidendsten sind, sollten wir die Gemeinsamkeiten in den Fokus rücken. Davon gibt es mehr, als man denkt.»

veröffentlicht: 3. Januar 2022 07:41
aktualisiert: 3. Januar 2022 07:41
Quelle: ArgoviaToday

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