In den letzten Tagen haben immer mehr Betroffene den Mut gefunden und sich getraut, zu sprechen. Die meisten Opfer sind heute Senioren, viele von ihnen haben über mehrere Jahrzehnte geschwiegen. «Jetzt merken sie aber, dass sie nicht die Einzigen sind, die Missbrauch im kirchlichen Umfeld erfahren haben», sagt Vreni Peterer, Präsidentin der Interessengemeinschaft für Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld (MiKu), gegenüber der «Sonntagszeitung».
Aber nicht nur bei der MiKu klingelt seit der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie ununterbrochen das Telefon – sondern auch bei kantonalen Opferberatungsstellen und kirchlichen Anlaufstellen der Fachgremien der Bistümer. Beim Bistum Basel sind sogar Meldungen eingegangen, welche die Jahre 2000 bis 2019 betreffen und damit noch nicht verjährt sind, wie es in der «Sonntagszeitung» heisst. Dort würde man sich einsetzen, dass der «mutmassliche sexuelle Übergriff geklärt wird», so Sprecherin Barbara Melzl. Zudem werde mit Fachpersonen die straf-, personal- und kirchenrechtliche Massnahmen koordiniert.
Schweiz ist knausrig
Ob sich die Kirchenoberhäupter tatsächlich für einen Wandel einsetzen und aufräumen, bezweifelt Peterer. Daher will sie die Opfer dazu ermutigen, das Schweigen zu brechen und vor allem eine Entschädigung zu fordern. Auch wenn die Taten längst verjährt sind, können Betroffene seit 2016 einen Antrag auf Genugtuung stellen. Doch zeigt sich die Schweiz hier knausrig und zahlt lediglich 20'000 Franken.
Reicht das als Entschädigung für sexuellen Missbrauch? «Kein Betrag wiegt das Leid auf, das uns die katholische Kirche angetan hat.» Aber jeder Betrag, der bezahlt werde, sei ein Schuldeingeständnis und das könne am Ende heilend sein», sagt Peterer. In Deutschland wurde der Betrag angepasst und spricht bis zu 100'000 Franken pro Opfer als Entschädigung aus.
Jeder Betroffene soll individuell betrachtet werden
Dazu fordert Vreni Peterer, dass dich Kirche nicht nur jedem Opfer eine Entschädigung, sondern auch noch für sämtliche Therapiekosten aufkommt. Unterstützung bekommt sie von Liliane Gross, der Präsidentin der Kommission «Genugtuung». Sie sagt, man müsse jedes Opfer individuell betrachten und die ungedeckten Kosten übernehmen.»
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Für eine Studie zu sexuellem Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche veröffentlichte die Universität Zürich kürzlich ihre Zahlen. Die Forschenden konnten 1002 Fälle von sexuellem Missbrauch, 510 Beschuldigte, 921 Betroffene sowie systematische Vertuschung durch Verantwortungsträger belegen. Zudem gab die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) im Zuge dessen bekannt, dass sie ein kirchliches Straf- und Disziplinargericht für die römisch-katholische Kirche in der Schweiz einrichten wollen.
(sib)