Unterhaltung

Warum laute Anrufe im Zug stören – Experte ordnet ein

Verhalten

Deshalb telefonieren manche lauthals im Zug und andere sind leise

· Online seit 28.10.2024, 13:09 Uhr
Es stört dich, wenn andere laut in der Öffentlichkeit sind? Du willst sie aber nicht zurückweisen? Und warum unterhalten sich die einen im Zug so laut, während andere fast nur flüstern? Ein Experte über Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit.
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Pendlerinnen und Pendler kennen die Situation: Das Telefon der Person nebenan im Abteil klingelt, sie nimmt ab und spricht unerhört laut, dass es einem fast unwohl wird. Oder in einem anderen Fall telefoniert jemand ungeniert auf Lautsprecher und lässt alle Mitreisenden ungewollt am Gespräch teilhaben. Oder dann gibts noch diejenigen, die bewusst ganz leise sprechen, sodass möglichst niemand etwas vom Gespräch mithört. Warum sind einige Personen so laut in der Öffentlichkeit und andere trauen sich kaum zu sprechen?

Die Erziehung und das daraus folgende Wertesystem

Die Antwort scheint simpel und einleuchtend: Die Erziehung und das Vorgelebte bestimmen das Verhalten. «Es sind Glaubenssätze, die wir in der Erziehung erleben. In der Schweiz wird meistens gelehrt, dass man in der Öffentlichkeit lieber still sein soll, weil es noch andere Leute rundum hat. Das ist Teil unserer Mentalität und in unserem Wertesystem verankert», erklärt Oliver Ender, psychologischer Berater und Verhaltensexperte.

Menschen verhalten sich unterschiedlich in der Öffentlichkeit, zum Beispiel im Zug, weil sie aus verschiedenen Kulturkreisen stammen. Diese wiederum haben eine unterschiedliche Nähe-Distanz-Relation. «Schweizerinnen und Schweizer empfinden es als zu nah, wenn Leute laut telefonieren», sagt Ender. «Das ist vergleichbar damit, wenn ein Mann aus einer anderen Kultur einem Schweizer drei Küsse zur Begrüssung gibt. Dann fühlt sich das befremdlich an, weil er die physische Nähe nicht so kennt.»

«Der Schweizer macht die Faust im Sack»

Das zeigt sich auch in den Reaktionen. Wenn man es als störend empfindet oder genervt ist, wenn jemand laut im Zug telefoniert, liegt das an der Mentalität, am Wertesystem, an kulturellen Gegebenheiten. Oliver Ender erklärt: «Schweizerinnen und Schweizer lernen ‹zuerst die anderen, dann man selbst›. Die Anpassungsfähigkeit ist folglich in der Schweizer Mentalität enthalten. Wenn jemand in den Zug steigt, auf Lautsprecher telefoniert und sich nicht anpasst, obwohl er merkt, dass hier keine exponierte Mentalität gelebt wird, sorgt das bei Schweizer Reisenden für Unverständnis.»

Viele Pendlerinnen und Pendler bleiben dann aber still, obwohl sie über das Verhalten anderer verärgert sind. Wieso sagt man nichts und macht die «zu laut Reisenden» auf das Unerhörte aufmerksam? «Das ist auch Teil unserer Mentalität», sagt Ender. «Der Schweizer macht die Faust im Sack. Der Deutsche würde es ansprechen.» Deshalb nähmen wir Deutsche oft als überheblich, arrogant und nörglerisch wahr.

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Der Schritt aus der Komfortzone ist möglich, wenn man das wirklich will

Hat das Verhalten in der Öffentlichkeit also nichts mit der Persönlichkeit zu tun? Doch, natürlich. Es gibt introvertierte und extrovertierte, offene und verschlossene Menschen. Deren Präsenz in der Öffentlichkeit kann sich unterscheiden. «Es hat schon auch mit dem Charakter zu tun», so Ender. Allerdings werde der Charakter wiederum durch das Wertesystem gebildet.

Was ist, wenn Menschen unzufrieden sind mit der eigenen Zurückhaltung oder sich aus Schamgefühlen und Angst nicht trauen, in der Öffentlichkeit laut zu sprechen? Das könne man loswerden beziehungsweise verbessern, meint Oliver Ender. Dann müsse man üben. «Das ist ein Training, bei dem der Kopf immer wieder melden wird ‹falsch, haben wir nicht so gelernt, haben wir nicht so gemacht›. Aber man kann lernen, dass die eigene Meinung zählt und es wichtig ist, dass man für sich einsteht.» Zum Beispiel könne man sich an Weihnachten vor die Verwandtschaft stellen und sich mit ein paar Worten an die Runde wenden. Es gebe auch Coachings, die ein sogenanntes «Reframing» ermöglichten: sich an positive Erfahrungen erinnern und daraus Energie und Mut schöpfen.

Was der Verhaltensexperte allerdings hinzufügt: «Ein Mensch will dann etwas ändern, wenn er das Gefühl hat, dass er durch seine Ängste und Blockaden ein Nachsehen hat. Vorher bleibt der Mensch in seiner Komfortzone, weil er das so gelernt hat.» Je mehr Gründe da sind, desto motivierter sei man und desto eher werde man etwas ändern.

veröffentlicht: 28. Oktober 2024 13:09
aktualisiert: 28. Oktober 2024 13:09
Quelle: ZüriToday

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