Nach 38 Verhandlungstagen vor der Strafkammer in Braunschweig (Niedersachsen) sprachen die drei Berufsrichter und zwei Schöffen den Angeklagten frei. Viele Prozessbeobachter hatten mit diesem Ausgang gerechnet, nachdem die Kammer im Juli auf Antrag der Verteidigung den Haftbefehl gegen den mehrfach vorbestraften Sexualstraftäter aufgehoben hatte.
Das Braunschweiger Verfahren stand im Fokus internationaler Medien, weil der Angeklagte im Fall der verschwundenen dreijährigen Madeleine «Maddie» McCann unter Mordverdacht steht. Der Maddie-Komplex ist aber offiziell nicht Gegenstand des aktuellen Verfahrens. Die Ermittlungen dazu gehen weiter, eine Anklage ist bisher aber nicht absehbar.
Gericht: «Lügende Zeugen»
Mit ihrem Urteil folgte die Kammer im Wesentlichen den Forderungen der Verteidigung. «Das, was wir an Beweisen hatten, hat für eine Verurteilung des Angeklagten nicht gereicht», sagte die Vorsitzende Richterin Uta Engemann und weiter: «Wir haben es mit unzuverlässigen, mit zum Teilen das Gericht bewusst anlügende Zeugen zu tun gehabt.» Darauf könne die Kammer kein Urteil stützen. Weiter argumentierte sie, dass Zeugen durch die Berichterstattung über Christian B. in ihren Aussagen beeinflusst wurden. Der Angeklagte sei in den Medien «als Sexmonster und Kindermörder stilisiert worden».
Die Vorsitzende Richterin schilderte in der Urteilsbegründung ausführlich die Widersprüche in den Aussagen der beiden Zeugen, die Videos von zwei der drei angeklagten Vergewaltigungen gesehen haben wollen. Beide hätten in ihren polizeilichen Vernehmungen im vorherigen Vergewaltigungs-Prozess 2019 und als Zeugen im aktuellen Prozess in vielen Punkten völlig unterschiedliche Angaben gemacht. Die beiden Opfer wurden bis heute nicht gefunden. Der Angeklagte nahm den Freispruch ohne äusserliche Regungen auf. Er trug ein weisses Hemd und wie schon an den vorherigen Verhandlungstagen ein zerknittertes graues Jackett.
Staatsanwaltschaft forderte 15 Jahre Haft
Christian B. waren zum Prozessauftakt im Februar drei Vergewaltigungen und zwei Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern in Portugal vorgeworfen worden. Nach dem Ende der Beweisaufnahme blieb die Staatsanwaltschaft im Wesentlichen bei ihrer Überzeugung und forderte insgesamt 15 Jahre Freiheitsstrafe mit anschliessender Sicherungsverwahrung. In diesem Fall hätte B. nicht nach Verbüssung der Haft entlassen werden können.
Die Strafverfolger hielten ihn für zwei Vergewaltigungen und zwei Missbrauchsfälle für schuldig. Im Fall einer Vergewaltigung habe der Vorwurf nicht aufrechterhalten werden können. Bereits im Vorfeld hatte die Staatsanwaltschaft für den Fall eines Freispruchs eine Revision angekündigt.
Die Verteidigung hatte am Montag einen Freispruch gefordert. B.s Rechtsanwälte argumentierten damit, dass Beweise fehlten und Zeugen nicht glaubwürdig seien. Der Angeklagte hatte am vorletzten Prozesstag die Möglichkeit zu einem letzten Wort, äusserte sich aber nicht.
(sda/sib)