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Mini-AKWs: So funktionieren die Reaktoren der 4. Generation

Energiegewinnung

Mini-AKWs: So funktionieren die Reaktoren der 4. Generation

· Online seit 16.10.2024, 09:56 Uhr
Google verbraucht grosse Mengen an Energie; vor allem das Training und der Betrieb von KI-Software ist energieintensiv. Der Tech-Konzern will daher ab 2030 Energie aus neuartigen Mini-Reaktoren des Entwicklers Kairos Power einkaufen.
Daniel Huber / watson
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Die Besonderheit der Mini-Reaktoren liegt darin, dass sie nicht mit Wasser, sondern mit einer chemisch stabilen Mischung aus geschmolzenen Lithium- und Berylliumfluoridsalzen (FLiBe) gekühlt werden. Kairos Power hat Anfang Oktober im US-Staat New Mexico mit dem Bau einer Fluoridsalz-Herstellungsanlage begonnen, in der hochreines Fluorid-Flüssigsalz als Kühlmittel für Demonstrationsreaktoren sowie den kommerziellen Reaktor KP-FHR hergestellt wird.

Auch in der Schweiz wird bald an einem Mini-Reaktor geforscht: Das Center für Nukleartechnologien und -wissenschaften des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) in Villigen hat mit dem Start-up Copenhagen Atomics, einem dänischen Entwickler von Salzschmelzenreaktoren, eine experimentelle Zusammenarbeit vereinbart. Die Experimente mit Thorium-Flüssigsalz sollen Erfahrungen mit der Salzschmelzenreaktor-Technologie liefern. Ein kleiner modularer Atomreaktor der vierten Generation, etwa so gross wie ein Schiffscontainer, soll in drei bis vier Jahren in Villigen in Betrieb genommen werden. Dies ist erlaubt, allerdings unter sehr strikten Sicherheitsauflagen.

Diese beiden Kooperationen stehen beispielhaft für einen Trend: In der Diskussion über die Frage, welche Massnahmen gegen die Klimaerwärmung ergriffen werden sollen, kommt heute die Atomenergie wieder vermehrt ins Spiel – als mögliche Alternative für die Verbrennung fossiler Energieträger. Dies, nachdem die Katastrophe von Tschernobyl 1986 und die Kernschmelze im japanischen Atomkraftwerk Fukushima vor gut dreizehn Jahren Atomkraftwerke weitherum in Verruf gebracht haben. Staaten wie Deutschland oder die Schweiz beschlossen darauf den Ausstieg aus der Atomenergie.

Fast alle Kernreaktoren, die derzeit für die kommerzielle Energieerzeugung betrieben werden, sind Leichtwasserreaktoren – viele davon aus der sogenannten dritten Generation, deren erste Vertreter 1996 in Betrieb genommen wurden. Obwohl die Reaktoren der dritten Generation sicherer sind als jene der zweiten Generation, besteht auch bei ihnen weiterhin das Risiko einer Kernschmelze mit potenziell verheerenden Folgen.

Die inhärente Gefahr einer Kernschmelze soll nun bei den neuen Reaktoren der vierten Generation gebannt sein, wie die Hersteller verkünden. Eine Kernschmelze tritt ein, wenn die Kühlung der Spaltprodukte nicht mehr funktioniert und die Brenn-Elemente aufgrund der Überhitzung schmelzen und einen Klumpen bilden, der sich in seinem Inneren durch den Zerfall der Spaltprodukte weiter aufheizt. Es kann dann zur Explosion des Reaktorkerns kommen. Die Gefahr für Mensch und Umwelt besteht darin, dass stark radioaktive Stoffe den Schutzmantel des Kraftwerks überwinden.

Bei den Mini-Reaktoren von Kairos Power und Copenhagen Atomics handelt es sich um sogenannte Kleine Modulare Reaktoren (Small Modular Reactors, SMR), die zudem als Flüssigsalzreaktoren der vierten Generation von Atomreaktoren angehören. Was sind SMR und wie funktionieren Flüssigsalzreaktoren?

Kleine Modulare Reaktoren

Kleine Modulare Reaktoren (SMR) sind kompakte Atomreaktoren, die im Vergleich zu herkömmlichen Reaktoren kleiner und oft vorgefertigt sind. Sie sind so konzipiert, dass sie modular gebaut und leichter an einen Montageort transportiert werden können. Sie sollen sicherer sein und obendrein die Finanzierungsprobleme umgehen, mit denen der Bau grosser Atomkraftwerke einhergeht, da die begrenzte Anzahl der Komponenten die Kosten senkt.

Es gibt verschiedene Konzepte von SMR, die stark unterschiedliche Designs und Kühlmittel nutzen, von verkleinerten Versionen herkömmlicher Kernreaktoren bis zu neuen Entwürfen der vierten AKW-Generation:

  • Leichtwasser-SMR (Pressurized Water Reactor, PWR)
  • Schwerwassermoderierte und -gekühlte SMR (Heavy Water CooledReactors, HWR)
  • Schnelle SMR (Fast Neutron Reactor, FNR)
  • Flüssigsalz-SMR (Molten Salt Reactor, MSR)
  • Flüssigmetallgekühlte SMR (Liquid Metal Cooled Reactors, LMR)
  • Hochtemperaturreaktoren (High Temperature Gas Reactor, HTGR)
  • Siedewasser-SMR (Boiling Water Reactor, BWR)

Das Konzept des SMR ist nicht neu; es geht auf Entwicklungen der 1950er-Jahre zurück, als man versuchte, Atomenergie als Antriebstechnologie für militärische U-Boote nutzbar zu machen. Bisher gibt es jedoch kaum Anlagen, die über das Stadium von Konzeptstudien hinausgehen. In Russland wurden 2020 zwei SMR-Pilotanlagen auf einer schwimmenden Plattform installiert. Ein von der US-Firma NuScale geplantes SMR-Projekt im US-Staat Idaho sollte 2028 ans Netz gehen, doch im vergangenen November gab die Firma bekannt, sie werde das Projekt einstellen. Die Abnehmer für den Atomstrom waren abgesprungen, weil der veranschlagte Preis zu stark angestiegen war.

Eine andere Firma, die SMR-Projekte vorantreibt, ist die im US-Staat North Carolina ansässige GE Hitachi Nuclear Energy (GEH). Ihr SMR-Design, der BWRX300, ist ein Siedewasserreaktor, der über passive Sicherheit verfügen soll, also auch unter extremen Bedingungen einen sicheren Zustand aufrechterhalten soll, ohne dass eine externe Stromversorgung oder menschliches Eingreifen dafür nötig wäre. Verschiedene Projekte in Kanada, Schweden, Polen und Estland befinden sich in unterschiedlichen Phasen der Realisierung, wobei die meisten erst in den 2030er-Jahren betriebsbereit sein sollen.

Die SMR-Technologie wird gern als Ergänzung für erneuerbare Energien propagiert, da SMR bei Produktions- und Nachfrageschwankungen schnell ab- und zuschaltbar seien. SMR sollen auch problemlos demontiert und in einer Fabrik abgewrackt werden können. Die Frage, wie hoch die Kosten für die Stromproduktion sind, ist allerdings noch ungeklärt; das Beispiel NuScale zeigt jedoch, dass es schwierig sein dürfte, im Strommarkt zu bestehen. Laut eines Gutachtens des unabhängigen deutschen Öko-Instituts müssten im Mittel 3000 SMR produziert werden, bevor sich der Einstieg in die SMR-Produktion lohnen würde. Für die Einhaltung der Pariser Klimaziele kommt die Technologie jedenfalls zu spät, auch wenn sie zur Bekämpfung der Klimaerwärmung beitragen könnte.

Flüssigsalzreaktor

Die beiden eingangs erwähnten Mini-Reaktoren von Kairos Power und Copenhagen Atomics sind Flüssigsalzreaktoren. Der spaltbare Brennstoff ist bei diesem Reaktortyp in flüssigem, mehr als 600 °C heissem Salz gelöst – häufig eine Mischung aus Fluorid- oder Chloridsalzen. Diese Salzschmelzen sind damit zugleich Kühlmittel und Träger des Brennstoffs. Das Brennmaterial ist dabei gleichmässig im Primärkreislauf des Reaktors verteilt, wo auch die Spaltreaktion stattfindet. Das heisst, es gibt keine Brennstäbe, die durch Wasser gekühlt werden müssen. Eine Kernschmelze im klassischen Sinn ist daher ausgeschlossen.

Ausserdem ist eine Dampfexplosion im Bereich des Reaktorkerns nicht möglich, weil diese Reaktoren im Gegensatz zu herkömmlichen Druck- oder Siedewasserreaktoren bei Atmosphärendruck arbeiten. Bei Überhitzung kühlt sich der Reaktor überdies von selbst ab, da der Brennstoff sich dann ausdehnt und die Neutronen auf weniger spaltbare Atome treffen, was die Kettenreaktion bremst. Wenn ein Systemausfall auftritt, fliesst das Salz in einen Sicherheitsbehälter, wo es auskühlen und kristallisieren kann – was die Kettenreaktion stoppt.

Flüssigsalzreaktoren weisen eine effiziente Energieumwandlung auf, weil sie bei sehr hohen Temperaturen arbeiten. Durch die guten Wärmetransporteigenschaften der Salzschmelzen können die Reaktoren bei gleicher Leistung im Vergleich zu gasgekühlten Reaktoren deutlich kleiner gebaut werden. Sie können im laufenden Betrieb abgebrannte Brennstäbe aufbereiten; sie sind damit «Brüter», die nicht nur Brennstoff verbrauchen, sondern zugleich neuen produzieren. So erzeugen sie weniger radioaktiven Abfall, der zugleich nur 500 statt 10'000 Jahre lang gelagert werden muss. Allerdings geben die Spaltprodukte eine starke Gammastrahlung ab, was den Umgang mit ihnen erschwert.

Nutzt man den Reaktortyp als Brutreaktor, genügt eine geringe Menge von Uran oder Plutonium, um ihn in Gang zu setzen; danach kann er mit nicht spaltbaren Nukliden wie Thorium betrieben werden. Thorium kommt in der Natur etwa drei- bis viermal häufiger vor als Uran. Flüssigsalzreaktoren können schliesslich auch so designt werden, dass die Herstellung von waffenfähigem Material schwierig ist. Sie bieten daher potenziell höhere Sicherheit gegen militärische Nutzung.

Die Nachteile dieses Typs bestehen darin, dass Salz aggressiv ist und das Material schnell korrodiert. Daher ist eine aufwendige Entwicklung von Materialien – etwa speziellen Legierungen – notwendig, die den hohen Temperaturen und der chemischen Aggressivität des Flüssigsalzes standhalten. Die Vorlaufkosten für Forschung und Entwicklung sind damit sehr hoch, obwohl das Konzept eigentlich schon lange bekannt ist.

Es gibt bereits einen Prototyp eines laufenden Flüssigsalzreaktors, der mit Thorium betrieben wird. Dieser chinesische experimentelle Reaktor befindet sich in der Wüste Gobi und ist seit Juni 2023 in Betrieb; seit Oktober 2023 soll er eine laufende nukleare Reaktion aufrechterhalten und so 2 Megawatt an thermischer Energie produzieren. Für diesen Reaktor wurden spezielle Superlegierungen entwickelt, die extremen Temperaturen, Strahlung und chemischer Korrosion standhalten.

veröffentlicht: 16. Oktober 2024 09:56
aktualisiert: 16. Oktober 2024 09:56
Quelle: watson

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