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Tötungsdelikt Hägglingen: 2 Tage vor dem Tod lächelte das Kind noch in die Kamera

2. Prozesstag

Tötungsdelikt Hägglingen: 2 Tage vor dem Tod lächelte die 3-Jährige noch in die Kamera

10.09.2024, 19:09 Uhr
· Online seit 10.09.2024, 19:08 Uhr
Vor dem Bezirksgericht Bremgarten sind am Dienstag zwei völlig unterschiedliche Motivationen für die Tötung eines behinderten Kleinkindes im Mai 2020 erläutert worden. Die Anklägerin sprach von Egoismus und Skrupellosigkeit, die Verteidiger von Liebe und Ohnmacht.
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Unbestritten ist: Am Abend des 6. Mai 2020 wurde in Hägglingen ein zerebral schwer behindertes dreijähriges Mädchen von seinen Eltern mit Ecstasy betäubt und anschliessend durch Bedecken der Atemwege erstickt.

Wie die heute 32-jährige Mutter und der 34-jährige Vater dazu kamen, die Tat zu verüben, dazu präsentierten Anklage und Verteidigung diametral unterschiedliche Versionen. Das Urteil wird am Freitag eröffnet.

Staatsanwältin: «Kind war ihnen lästig»

Für die Staatsanwältin war das Kind, das rund um die Uhr intensiv betreut werden musste, den Eltern lästig geworden, sie hätten es loswerden wollen. Dabei hätten sie aus krassem Egoismus gehandelt. Sie seien skrupellos und grausam vorgegangen.

Für das Kind hätte es durchaus die Möglichkeit zu Verbesserungen seines Zustands gegeben, so die Anklägerin. Die Eltern hätten aber manche Massnahmen nicht gewollt. Sie hätten es auch abgelehnt, das Kind in die Obhut von Fachkräften zu geben.

Im Rahmen ihres Plädoyers präsentierte die Anklägerin Fotos eines lachenden Mädchens. Es soll 2 Tage vor dem Tod des Kindes aufgenommen worden sein. Und sie zeigte Auszüge von aggressiven Chats und Abhörprotokolle von gehässigen Unterhaltungen der Eltern.

Die Staatsanwältin forderte eine Verurteilung wegen Mordes und Bestrafung mit je 18 Jahren Freiheitsentzug. Zudem seien die aus Deutschland stammenden Beschuldigten für je 15 Jahre des Landes zu verweisen.

«Alle Eltern knipsen in glücklichen Momenten»

Für die Verteidiger der Eltern bewiesen weder die Fotos noch die Chats oder Protokolle irgendetwas. Die Eltern hätten unter Stress gestanden, da komme es manchmal zu Ausfälligkeiten.

In der Familie habe es durchaus glückliche Momente gegeben. Die Fotos seien in solchen Augenblicken entstanden. Alle Eltern fotografierten ihre Kinder in glücklichen Momenten und nicht, wenn sie vor Schmerzen schrien oder Krämpfe erlitten.

Ärzte prognostizierten nur kleine Fortschritte

Die Anklägerin habe in ihrer Präsentation ausgeblendet, was nicht in ihre Theorien passe. So habe sie etwa Aussagen der Ärzte verschwiegen, die für das Kind zwar kleine Fortschritte für möglich hielten – insgesamt aber werde es sein Leben lang von Schmerzen, Lähmungen und Krämpfen geplagt sein und rund um die Uhr Betreuung benötigen.

Angesichts der Leiden des Kindes, gegen die sie nichts hätten tun können, seien die Eltern verzweifelt. Schliesslich hätten sie beschlossen, ihr Kind zu erlösen. Sie hätten dies aus Liebe und aus Ohnmacht getan.

Verteidigung fordert 3 Jahre für Totschlag

Sie seien weder egoistisch gewesen, noch seien sie skrupellos oder grausam vorgegangen. Von Mord könne keine Rede sein. Die Eltern hätten unter dem Einfluss einer lange gewachsenen, schweren seelischen Belastung gehandelt. Sie seien wegen Totschlags zu verurteilen. Angemessen sei jeweils eine teilbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren.

Für das Besorgen des Ecstasy habe sich der Vater zudem der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig gemacht. Dafür sei eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen angezeigt. Im Hinblick auf das Freizügigkeitsabkommmen zwischen der Schweiz und Deutschland sei von Landesverweisen abzusehen.

Wusste die Grossmutter vom Plan?

Die Grossmutter des Kindes wird von der Staatsanwaltschaft der Gehilfenschaft zum Mord beschuldigt. Bestraft werden solle sie mit fünf Jahren Freiheitsentzug und 15 Jahren Landesverweis. Sie habe vom Plan gewusst und ihre Tochter und deren Freund darin bestärkt.

Der Verteidiger der 52-Jährigen stellte dies in Abrede. Seine Mandantin habe zwar vom Tötungsplan gewusst, aber davon abgeraten. Sie sei vollumfänglich freizusprechen.

Emotionales Schlusswort

In ihren Schlussworten betonten die Eltern, sie hätten ihre Tochter aus Liebe von ihren Leiden erlöst. Die Mutter versicherte, ihre der Gehilfenschaft beschuldigte Mama habe nichts mit der Tat zu tun, sie sei dagegen gewesen. Der Vater sagte unter Tränen, er wolle «die Unterstellung aus der Welt schaffen», sie hätten «keine Lust auf unsere Tochter» gehabt und sie «aus der Welt haben» wollen.

Das Urteil wird am Freitagmorgen erwartet.

(sda)

veröffentlicht: 10. September 2024 19:08
aktualisiert: 10. September 2024 19:09
Quelle: ArgoviaToday

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